GABRIELE C. PFEIFFER

 

Mei Tochter solls besser ham als i – Cissy Kraner als Inspiration

 

Der in Graz geborene legendäre Nestroy-Darsteller Heinz Petters (1932–2018) stand als junger Mann mit Cissy Kraner (1918–2012) auf der Bühne und war wohl sehr beeindruckt. Als er viele Jahre später Katharina Straßer kennenlernte, flüsterte er ihr öfter ins Ohr: „Mädel, Du musst was von der Cissy Kraner machen.“ Das Lied „Die Schönheitspflege“ (Klavier Boris Fiala) hat sie dann 2018 am Gedenkabend im Wiener Volkstheater für Petters gesungen und im Jahr darauf kam Straßer mit ihrem ersten Soloprogramm „Alles für’n Hugo“ heraus.

Straßer zur Seite stand die Dramaturgin Karin Sedlak, die für ihre Dissertation über Hugo Wiener (Heiterkeit auf Lebenszeit“...? 2009) in engem Kontakt mit der Diseuse und (Ehe-)Partnerin von Wiener stand und sie auch regelmäßig im Badener Heim für Künstler*innen, im Hilde Wagener-Künstlerheim, besuchte. Sedlak kann Cissy Kraner teils im O-Ton nachahmen. Dreh- und Angelpunkt des ersten Solo-Programms „Alles für’n Hugo“ ist Cissy Kraners 101. Geburtstag, den die Figur „Straßer-Kraner“ mit Flügelchen, Witz und Selbstkommentaren feiert und auf diese Weise durch die Biographie und Chansons der großen Künstlerin führt (Klavier Boris Fiala, Regie Andy Halwaxx, Dramaturgie Karin Sedlak). Wegbegleiter*innen und Freund*innen werden erwähnt, es wird erzählt, wie alles begonnen hat, wie sie zum Namen Cissy [tsisi] gekommen ist (Cäcilia statt Gisela) und vom „ABC“ etwa mit Jura Soyfer, auch über das lateinamerikanische Exil bis hin zum „Simpl“ unter Karl Farkas. „Sie war die Grande Dame des österreichischen Musikkabaretts, sie war eine großartige Komikerin und hat mit ihrem Ehemann Hugo Wiener Preziosen satirischer Chansons von zeitlosem Blick in die wienerische Seelenlandschaft geschaffen. Ihr Habitus, ihre Stimme, ihr Sound sind unvergessen“, ist etwa im Programmheft zu lesen.

Humor, Witz und Kritik in schwungvolle Lieder verpackt – wie in das Lied zur „Schönheitspflege“ – gibt Straßer auch bei dem den außergewöhnlichen Zeiten angepassten Donauinselfest 2020 zum Besten (Klavier Gerald Schuller). Mit Elan tanzt sie die „Schönheitspflege“, turnt in Anlehnung an Kraner in groben, ruckartigen Bewegungen auf und ab und hin und her, wie wir es aus der Schigymnastik von vor 50 Jahren phantasieren. Es stellt sich dabei die Frage nach dem Frauenbild, das die heteronormativen Medienmacher (sic) etwa mit Ilse Buck vor Augen hatten. Im Zentrum steht wohl die Ertüchtigung des funktionierenden Körpers, die Beweglichkeit der Gelenke und die ruckartige Bewegung der damaligen Trainingsmode. Straßer re-interpretiert die Zurichtung des weiblichen Körpers in gewisser Weise ekstatisch, sie turnt im Gleichklang mit Cissy Kraner, der ‚Königin-Mutter des Kabaretts‘ (ORF III), die dies in Klavierbegleitung ihres Mannes Hugo Wiener ebenfalls schon tat. Damit werden die Zuschauer*innen nahe an ein Re-enactment herangeführt. Vergessen sind die 1980-Jahre, in denen der weibliche Körper nicht nur fit, sondern auch chic sich in den „Turnhallen“, die zu Schönheitssalons mutierten, bewegte. Mittlerweile rückt neben dem Slow-food-Effekt auch das Bewusstsein weiblicher Körper als durchtrainierte Körper ins Blickfeld und wird mittels einem Wiener-Kraner-Lied erneut in Frage gestellt.

Hugo Wiener und Cissy Kraner übten auf humorvolle Weise Kritik an den gewaltsamen und aus heutiger Sicht harmlosen Gurken-, Atem- und Bewegungsübungen, die als Schönheitsoptimierung v.a. für die Frau geeignet schienen. Mit Augenzwinkern oder vielmehr weit aufgerissenen und rollenden Augen und v.a. rollendem R wurde über stundenlange, minutenlange kleinere und größere Fitness-Übungen gesungen bis dass der Tag seine 25 (sic) Stunden voll hat. Dabei hat Frau noch gar nichts gegessen. Was heutzutage aber vielleicht nichts zur Sache tut, stellt Essen mittlerweile nicht mehr einen Luxus der Nachkriegszeit dar, wenn Themen der Anorexia und Bulimia nervosa in den jugendlichen Alltag von Frauen Einzug halten. Auch diese Haltung wandelt sich, wenn auf der globalen Bühne regionale Produkte, Kompostierung und Straßen-Garteln wieder modern werden, wenn Gurken weder ins Gesicht geklatscht noch ausgespuckt werden, sondern fein gemixt als Smoothie in den neuen Lifestyle integriert sind. Ganz ehrlich, wer wünscht sich da nicht einmal eine hübsche, geile, gute Torte?

Und auch hier wird eine fündig, in der Küche beim Kochen und Torte Backen macht sich Cissy Kraner die Finger schmutzig. Sie will für den Bubn Pepperl eine Schokoladetorte hervor zaubern. Dies erscheint nun wirklich harmlos und wir lachen bei der Frau, die die Finger des Kindes Pepperl aus dem Fett holt, die die „Forelle“ im Radio hört, was nicht dazu passen will, die den Kanarienvogel aus dem Fett rettet, dann wieder die Hände vom Pepperl aus dem Fett herausnimmt – wir sind damit schon bei Pfanne Nummer vier gelandet. Die Abfolge wird sich letztlich mindestens bis zu acht Pfannen steigern. Die Tätigkeit und die wunderbaren Hände, die in der Luft kneten, die rollenden Augen, der Schweiß, das Fett, noch einmal das Fett, Mehl, Radio, das Telefonat mit der Mutter, wieder Fett … alles wird sichtbar. Und die Kritik an diesen Umständen hörbar, wenn eine Frau nicht alle Hände voll zu tun hätte, wäre doch auch eine Schokoladentorte schnell gemacht. Sie ist aber auch schlau. Diese Frau ist schlau, telefoniert sie doch geradewegs am Ende mit einer Konditorei und bestellt kurzum eine Torte, beim Konditor (sic). Lasst uns Essen ins Haus liefern!

Zuhause wird nicht nur gegessen und geschlemmt, zu Hause findet häusliche Gewalt statt, ein nicht enden wollendes Thema, schreckliche Meldungen über die Tagesnachrichten verbreiten sich, bis hin zu Hashtag Frauenmorden. Mit Cissy Kraner und Hugo Wiener war es vielleicht erstmals ausgesprochen, dass auch in (klein)bürgerlichen Familien eine Männerhand vieles konnte. So gab es Veilchen, die keine Blumen waren, verlorene Zähne, die sich Kraner als Geburtstagsgeschenke zurückwünschte, und einen Novak, der auf eine „aufpasste“. Auf der Kabarettbühne von Kraner wird es besungen, das kleine, schlimme Leben der Frau der 1950er-Jahre. Durch Witz und Sprachlispeln, durch bemaltes Zahnloch konnte und kann das Publikum lachen – ein Tabubruch würde man heute wohl meinen und vielleicht auch hoffen. Doch auch der viel besungene Novak kann hier nicht beruhigen, auch wenn es der Titel vermeintlich annehmen ließe. Heute wird es erneut von Interpret*innen aufgenommen wie beispielsweise von der Bühnendiva Katharina Elena (alias Christian Schmidt) oder auch vom L.E.O. – Letztes Erfreuliches Operntheater etwa, das regelmäßig eine Auswahl an Chansons von Cissy Kraner auf die Bühne bringt.

Katharina Elena ging mit dem Novak auf Tournee, besingt das Torte Backen als Traudl Hohlbichler. Die österreichische Sängerin und Texterin Birgit Denk nimmt sich des Liedes ebenfalls an, wie auch Bettina Köster ihre berüchtigt rauchige Stimme dem Novak-Couplet überlässt. Je nach Zeit und feministischem Blick kann das eine oder der andere gesehen werden, gehört werden. Ein beinah zeitloses Lied will eine meinen. Immer wieder wird der Blick auf die Frau gerichtet – auf die Torte, den Vorderzahn, den Novak, die Handtasche – und immer mit Ironie oder Parodie vorgestellt, die – so Kraner selbst – immer ernst dargeboten werden muss.
Lasst uns also doch wieder große und zwinkernde Augen sehen und ein körperlich erleichterndes Auflachen möglich machen. Lasst uns in die Gesellschaft hineinwirken. Vielleicht sehen wir dann auch die Töchter, die es besser haben sollten, die mit Drogen, Pille, Auto, Aufklärung und Polygamie doch wieder nur die Aggression der Mutter hervorrufen, politische Kleinkunst auf die Bühne bringen, oder wie Soyfer sagen würde, auf uns kommt es an. Also: Töchter der Kraner: weiterhin raus ins Rampenlicht!

© Gabriele C. Pfeiffer: Mein Tochter solls besser ham als i –
Cissy Kraner als Inspiration.

In: Oesterreichisches Kabarettarchiv online, 2021.

Foto: © Pietro d‘Uccelli

Univ.Prof. Mag. Dr. PD Gabriele C. Pfeiffer (* 1970 in Graz) hat die Professur für Theaterwissenschaft / Dramaturgie an der Kunstuniversität Graz (KUG) inne. Zuvor an der Universität Wien mit dem Forschungsprojekt „(Re)Präsentation theatraler Konzepte des Daseins“ im Rahmen des Elise Richter Programms (FWF) beschäftigt, aus welchem die Habilitation hervorging, publiziert 2021 Ephemer und leibhaftig. Schauspielerische Erkundungen von Ariane Mnouchkine, Carmelo Bene und Jerzy Grotowski.
Weitere Publikationen: Kommt herbei! Eintritt frei. Comoedianten sind da: Ich erzähle Euch die Geschichte vom Dario Fo-Theater in den Arbeiterbezirken (2009); Birgit Peter & Gabriele C. Pfeiffer (Hrsg.): „Flucht Migration Theater“. Dokumente und Positionen (2017); Silke Felber & Gabriele C. Pfeiffer (Hrsg.): „Das Meer im Blick“. Betrachtungen der performativen Künste und der Literatur (2018).
Forschungsschwerpunkte: Inter- und Transkulturelles Theater, experimentelles Theater (Österreich, Italien), Europäische Schauspieltheorie und -geschichte des 20. Jahrhunderts, auch in Hinblick auf Film- und Medienkulturen sowie Theateranthropologie und Dramaturgie.

Veröffentlicht am: 6. August 2021