GESAMTkabarettWERK

Eine lose Reihe von Texten, die die gesamte Kabarettszene ausleuchten – mit Beiträgen aus der Szene.

Das Österreichische Kabarettarchiv macht es sich seit rund 20 Jahren zur Aufgabe, Relevantes rund um das Kabarett zusammenzutragen.
Neben Vor- und Nachlässen finden sich vor allem Bücher, CDs, DVDs, Schallplatten, Fotos, Plakate, Programmhefte oder Rezensionen aus vielen Zeitungen in unseren Sammlungen.
Kabarett jedoch umfasst weit mehr als das Schaffen der Künstlerinnen und Künstler auf der Bühne.

Ein Projektbericht:

Im Winter 2019 hatten wir die Idee, Stimmen aus der weitläufigen Kabarettszene zu sammeln, da abseits der Bühne nur sehr wenig über deren vielfältige Tätigkeiten und Aufgaben bekannt ist. Der Gedanke dabei war, dass dieses Wissen um das Kabarett vielleicht verloren gehen könnte und es ja zum Aufgabenbereich eines Archivs zählt, diese Berichte zu konservieren (und damit am Leben zu erhalten und für Interessierte sowie für die Nachwelt zugänglich zu machen). Und das am besten in einer ansprechenden, vielleicht sogar unterhaltsamen Form. Verschiedene Herangehensweisen wurden durchgespielt – ein Buch? eine Interview-Reihe? ein Blog? –, aber schließlich ist aufgrund der vielen anstehenden Aufgaben des Archiv-Alltags nichts daraus geworden. Die Projektidee ließ uns jedoch nicht los.

Das Jahr 2020 brachte dann gleich zwei Ereignisse, die uns die Idee wieder aufgreifen ließen: der Ausbruch der Corona-Pandemie und die bald darauf folgende Gründung der IG-Kabarett. Plötzlich kam das Bühnengeschehen, umsatzstark seit vielen Jahren und von hunderten, selbstständigen Steuerzahler/innen mit Herzblut betrieben, zum Stillstand. Die Interessenvertretung und einzelne Künstler wie Lukas Resetarits machten schnell auf die vielen, sich dadurch dramatisch vergrößernden Probleme der Branche aufmerksam, die vor allem mit fehlenden Sicherheitsnetzen für die Künstler/innen, Manager/innen, Veranstalter/innen und vielen anderen Beteiligten zusammenhängen.

Im Laufe des Jahres 2020 haben wir auch vor diesem Hintergrund lange an unserer Idee weitergefeilt und schließlich eine lose Online-Reihe an Texten in Angriff genommen. Das GESAMTkabarettWERK erblickte nach vielen Vorarbeiten im Jänner 2021 schließlich das Licht der Welt. Bis Sommer 2022 sollten regelmäßig Beiträge auf unserer Website veröffentlicht werden.

Der Titel des Projekts, GESAMTkabarettWERK (die Parallele zu Gesamtkunstwerk ist beabsichtigt), soll auf die Zusammenarbeit der Vielen verweisen, ohne die ein Kabarettabend nicht möglich wäre, beziehungsweise das Kabarettbusiness nicht stattfinden könnte. Wir wollten also weniger die Kabarettist/innen auf der Bühne beleuchten, sondern vielmehr jene, die nicht im Rampenlicht stehen, vor den Vorhang bitten. Wir haben dabei versucht, möglichst unterschiedliche Akteur/innen und Tätigkeiten auszuwählen. Trotzdem lassen sich zwischen den 23 Texten, die dabei entstanden sind, viele Verbindungen herstellen. Dass es dabei leider zu oft um den Umstand geht, dass viel Arbeit mit wenig Geld entlohnt wird, darf an dieser Stelle nochmals festgehalten werden. Auch das unumgängliche Netzwerken findet sich immer wieder in den Texten, aus unterschiedlichen Gründen.

Ganz im Sinne des bisher Gesagten wurde gleich einer der ersten Beiträge von Viktor Gernot im Namen der IG Kabarett verfasst und er wies nochmals auf die – durch Corona und die verhängten Regierungsmaßnahmen dagegen – prekären Arbeitsbedingungen in der Branche hin.

Die anderen Artikel verweisen größtenteils auf Aufführungspraxis wie Strukturen und die damit verbundenen Ideen wie Tätigkeiten.
Naheliegend im Kabarett sind Text und Darstellung, für die nicht immer Kabarettist/innen allein zuständig sind. Sprich: Wir haben auch Autor/innen und Regisseur/innen gebeten, uns ihr Tun näher zu bringen und so reflektiert die Regisseurin Marion Dimali über die Unterschiede, die sich beim Arbeiten mit weiblichen und männlichen Künstlern ergeben – und welche Klischees leider noch immer bestätigt werden können.
Auf andere Weise behält der Kabarettautor Manfred Koch die Aufführung im Blick. In einem Streitgespräch mit sich selbst denkt er über die Vor- und Nachteile des Schreibens und Spielens von Kabaretttexten nach. Doch während Koch alleiniger Autor von Kabarettnummern ist, beschreibt Gerald Fleischhacker das Schreiben im „Humorkollektiv“ für diverse Radio- und Fernsehformate.

Ein Text befasst sich schließlich aus wissenschaftlicher Perspektive mit dem Geschehen auf dem Brettl: Helmut Neundlinger beschreibt, was passiert, wenn ein Kabarettist auf die Bühne geht und unter eigenem Namen auftritt… oder auch nicht. Dabei betreibt er eine kleine Rückschau auf die Arbeiten von Helmut Qualtinger und Josef Hader.

Kabarettist/innen brauchen aber auch Techniker/innen, damit man sie sehen und hören kann. Hier wiederum gibt es sowohl fixe Techniker/innen eines Veranstaltungslokals oder eines Kabarettisten/einer Kabarettistin. Ersteres beschreibt der langjähriger Licht- und Tontechniker der Kleinkunstbühne Hin & Wider im Grazer Theatercafé Sebastian Zäschke, der liebevoll die Herausforderungen der unterschiedlichsten Kabarettabende und -programme aufzeigt. Mit völlig anderen Problemen ist der Techniker eines Kabarettisten konfrontiert, der sich in den verschiedensten Spielstätten zurechtfinden muss – und daher mit viel eigenem Equipment auf Tour geht. Wie das so sein kann, vermittelt Didi Sommer in seinem Beitrag, den einerseits eine „Eingetragene Kabarettisten-Techniker-Einheit“ mit Klaus Eckel verbindet, der andererseits aber ebenfalls – als Poetry Slamer und Kabarettist – auf Bühnen steht. Er reflektiert also auch, inwieweit seine Zusammenarbeit mit Eckel sich auf seine eigene künstlerische Arbeit auswirkt.

Um überhaupt auf Bühnen stehen zu können, müssen solche von Veranstalter/innen betrieben und betreut werden. Dabei reicht es nicht mehr, regelmäßig zu veranstalten, sondern ab und zu werden publikumswirksam Festivals ausgerichtet oder Kabarettpreise vergeben. Ein ganz spezielles Festival mit Alleinstellungsmerkmal ist „Die Kabarett“, das einzige Kabarettfestivals Österreichs, bei dem nur Frauen auftreten. Katharina Pichler führt es zusammen mit anderen Frauen sowie dem Frauenbüro der Stadt Salzburg im Kleinen Theater seit einigen Jahren durch. Das Kabarett ist ja seit jeher eine Männerdomäne und das Team des Festivals versucht „einen Beitrag zu leisten, um Vorurteile abzubauen und der Gleichberechtigung den Weg zu ebnen“.
Über Kabarettpreise, deren Vergabemodalitäten und Intentionen schreibt Michael Eibl von der Local-Bühne Freistadt, die seit 1995 den „Frischling“ vergibt. Während, wie wir aus dem Beitrag erfahren, der dahinterstehende Kulturverein sich als „kultureller Nahversorger“ im nordöstlichen Mühlviertel versteht, deren eines, aber wichtiges, Standbein der Veranstaltungstätigkeit Kabarett ist, dominiert dieses Genre den Spielplan der bereits erwähnten Kleinkunstbühne Hin & Wider im Theatercafé. Charly Mohr, Mitbegründer und langjähriger Cheftechniker, erinnert sich an die Anfänge der Bühne und des „Grazer Kleinkunstvogels“, der seit 1987 vergeben wird. In diesem Jahr wurden, einmalig, drei Gewinner/innen gekürt. Einen Preis heimste die Schultheater-Gruppe „Salmonellen“ aus Graz unter der Leitung von Angela Höppl-Salmhofer ein. In ihrem Beitrag beschreibt die Pädagogin ihre jahrzehntelange Arbeit mit den Schülerinnen der Ursulinen. Übrigens: Viele Ex-„Salmonellen“ wirken heute im Kunst- und Kulturbetrieb mit, unter ihnen Ulrike Haidacher und Antonia Stabinger, auch als Kabarettduo „Flüsterzweieck“ bekannt.

Eine Grundsatzfrage versucht Simon Pichler zu klären, nämlich: Wie wird man eigentlich Kabarettist/in? Kann man das lernen? Pichler erzählt von den Kabarett-Workshops, die er und Leo Lukas seit Jahren anbieten, in denen „das Lustigsein“ den Teilnehmer/innen ernsthaft nähergebracht wird, aber auch von seiner sonstigen Nachwuchsarbeit, nicht zuletzt vom „Grazer Kleinkunstvogel“, den er seit Jahren mitorganisiert und moderiert.

Weil Gewinner/innen dieser (Nachwuchs-)Preise auch auftreten wollen, aber manchmal nicht gleich mit ihrem Programm engagiert werden, wurden spezielle Veranstaltungen konzipiert. Eine davon ist die „Lange Nacht des Kabaretts“, die seit 1997 in wechselnder Besetzung durch die Lande tourt und Nachwuchskabarettist/innen präsentiert. Einige der Künstler/innen kommen in diesem Beitrag von Thomas Tröbinger, dem Erfinder und Organisator dieser Reihe, ebenfalls zu Wort. Sonja Pikart beispielsweise. Sie beschreibt den Unterschied zu den aktuell gängigen Mixed Shows, bei denen „Einer-nach-dem-Anderen“ kommt: Bei der „Langen Nacht“ hingegen fügen sich die Solist/innen und Duos quasi zu einem Ensemble zusammen und präsentieren etwas „Neues, Ausgefeiltes, Durchdachtes“. Eine ebenfalls etwas andere Mixed Show wurde von der Grazer Kabarettistin Christine Teichmann ins Leben gerufen: Das „Kabarett Cuvée“. In ihrem Beitrag erzählt Teichmann von ihrer Arbeit als Moderatorin und Veranstalterin dieser Reihe.

Welche vielen Handgriffe zum Kabarettist/innendasein gehören, zeigt die Newcomerin Elli Bauer – zwischen ÖBB, Instagram und Hotelzimmer. Allerlei Organisatorisches ist da zu tun, obwohl sie von einem Manager unterstützt wird. Dieser, Wolfgang Pfeiffer, ist ebenfalls in verschiedenen Bereichen zu Hause, und berichtet von seinen Erfahrungen als Musiker, Manager, Veranstalter – mitunter in Personalunion.

Ein wichtiger Teil der Kabarettbranche ist der sogenannte Kabarettfilm. Der Regisseur Harald Sicheritz, der für seine Zusammenarbeit mit Kabarettist/innen bekannt ist, nimmt eine Beobachterrolle ein und beschreibt, wie er mit den Künstler/innen bei Film- und Fernsehproduktionen zu arbeiten gelernt hat.

Rückgriffe auf die Vergangenheit unternehmen auf unterschiedlichste Art Karin Sedlak, Gabriele C. Pfeiffer, Maria Piok, Hans Veigl und Andreas Vitásek.
Sedlak und Pfeiffer nehmen sich der großen „Kammerdiseuse“ Cissy Kraner an. Während die Dramaturgin Karin Sedlak das Exil und die Rückkehr des Ehe- und Bühnenpaares Cissy Kraner-Hugo Wiener und die unerreichten Chansonvorträge sowie deren Entwicklung beschreibt, untersucht die Theaterwissenschaftlerin Gabriele C. Pfeiffer Texte und „Milieu“ der Chansons sowie das Nachleben in aktuellen Aufführungen von Künstlerinnen. Sie schließt mit den Worten: „Töchter der Kraner: weiterhin raus ins Rampenlicht!“
Die Literaturwissenschaftlerin Maria Piok, die im Forschungsinstitut Brenner-Archiv der Universität Innsbruck den Nachlass von Otto Grünmandl betreut, berichtet über die vielen Facetten des Kabarettisten, Schriftstellers und Poeten. Andreas Vitásek beschäftigt sich ebenfalls mit Grünmandl. Sehr persönlich erinnert er sich an die Kabarett-Größe und beschreibt, wie er dazu kam, Texte von Grünmandl wieder auf die Bühne bringen.
Hans Veigl schließlich lässt uns auch atmosphärisch an der Entstehung des neueren österreichischen Kabaretts (Kabarett Keif, Lukas Resetarits oder Erwin Steinhauer) und dessen enger Verbindung mit den „Schmetterlingen“ oder dem Ensemble Theater sowie deren Festwochenproduktionen teilhaben.

Gegenwärtiges in gegenwärtiger Form, nämlich einen während der Corona-Pandemie entstandenen Podcast, macht der Kabarettist Rudi Schöller. In seiner „Pension Schöller“ erzählen Größen der heimischen Kabarettszene in langen Interviews über ihre Karrieren. In seinem Beitrag erzählt Rudi Schöller wie es dazu kam, step-by-step sozusagen.

Kurzum: Interessante Beiträge allesamt, wie wir meinen. Und ein Ausleuchten des erweiterten Backstage-Bereiches. Wir hoffen, dass die Texte dazu einladen, sich Gedanken über das vielfältige Schaffen der Kabarettszene zu machen.

Übrigens: Die IG Kabarett konnte in der Zwischenzeit zwei wesentliche Dinge erreichen. Erstens werden nunmehr auch im Bereich Kabarett Arbeitsstipendien zur Erarbeitung neuer Programme vergeben und zweitens gibt es, ebenfalls vom Kunst- und Kulturministerium finanziert, die Veranstaltungsreihe „Trampolin“, die Mixed Shows für Jungkabarettist/innen (samt Fixgagen) an diversen Veranstaltungsorten organisiert.

In eigener Sache: Schön wäre es, würde auch das Österreichische Kabarettarchiv für seine Archiv-, sprich: die Kern- und Dokumentationsarbeit, vom Kunst- und Kulturministerium eine finanzielle Unterstützung erhalten. Projekte werden zwar immer wieder mitfinanziert, aber die weit größere Basisarbeit leider (noch?) nicht. Und es wäre schade, finden wir, wenn das Kabarett in all seinen Facetten keine zentrale Ansprech- und Sammelstelle hätte.

 

Projektverantwortliche:


   Mag. Dr. Iris FINK, Archivleitung

  E-Mail

 

  Mario HUBER, Dr.phil. BA BA MA

ehrenamtliche Mitarbeit beim Projekt GESAMTkabarettWERK