CHARLY MOHR

 

„Es ist, als ob es erst gestern war …“

Von den Anfängen der Kleinkunstbühne Hin & Wider im Theatercafé

 

In meinem 23. Lebensjahr, entweder Ende Jänner oder Anfang Februar, kam ich erstmals persönlich ins Theatercafé in Graz.

Gehört hatte ich schon einiges von diesem „verruchten Nachtlokal“, aber ich war (noch) nicht am Nachtleben und schon gar nicht am „verruchten Nachtleben“ interessiert. Ich war gerade erst dabei, langsam und vorsichtig aus meinem behutsam gehegten brav katholischen Schneckenhaus die Fühler auszustrecken.

Meine Aufgabe war es, mit dem Lokalbetreiber Dieter Slanz und dem Führungskopf des „Cabaret Gimpel“ Herbie Trummler die licht- und tontechnischen Möglichkeiten für den ersten Auftritt im Theatercafé abzuklären. Nach einer kurzen Besichtigung war geklärt, dass ich einerseits zwar zwei Scheinwerfer fix montieren durfte – einen über dem Klavier, also von rechts auf die Bühne leuchtend, den anderen gleichermaßen auf der linken Seite an der Wand zwischen dem Durchgang zu Küche und Toiletten und dem zur Bar. Dass mein „Verfolger“-Scheinwerfer, der das Spotlight und eine im Laufe des Abends wechselnde „Einfärbung“ der Bühne realisierte, andererseits jeden Abend aufgebaut und nach der Vorstellung wieder abgebaut werden musste, stellte einen tragfähigen Kompromiss aus Berücksichtigung der bühnentechnischen und der gastronomischen Wünsche dar.
Ähnlich erging es der Tonanlage für Einspielungen und der Bühne aus Nut-Feder-Brettern: Aufbauen-Abbauen-Aufbauen-Abbauen …

Wenn ich heute zurückdenke, dass die Tonanlage hauptsächlich aus einem Kassettenrecorder bestand, den ich aus einer defekten „Kompaktanlage“ ausgebaut und in ein Gehäuse aus Holz eingebaut hatte, und die Lichtanlage aus einfachsten Dimmerschaltungen ohne jede Entstörung, die in eine weitere Holzkiste eingebaut waren, dann wundere ich mich heute noch darüber, wie wenig ich damals Risikopotentiale zu sehen im Stande war: „Hauptsach’, es funktioniert …“

Kaum war die erste Vorstellungsreihe des „Cabaret Gimpel“ abgespielt, trudelten auch schon die ersten Anfragen aus Wien ein, ob denn ein Karl Merkatz mit Kafkas „Bericht für eine Akademie“, ein Andreas Vitasek, ein H.C. Artmann und ein Josef Hader auch auftreten könnten. Dem Lokalbetreiber Dieter Slanz haben diese Ideen gefallen, Herbie Trummler als Organisator und ich als Techniker haben uns dafür ebenso begeistert, und: Die „Kleinkunstbühne im Theatercafé“ ward geboren.

Ganz im Gegensatz zu „viele Köche verderben den Brei“ haben bei unserer Truppe viele Mitwirkende die jeweils richtigen Zutaten eingebracht. Paul Huter, der in diesen Jahren auch „Kleinkunst in Kitzbühel“ ins Leben gerufen hat, brachte mit seinem Organisationstalent viel Struktur in die allabendlichen Abläufe ein. Susanne Pocivalnik, die als begeisterter Fan der bayrischen Kabarett- und Musikszene viele Künstler nach Graz engagierte, erfand den „Grazer Kleinkunstvogel“. Heidi Kopfauf, eine mehr im Hintergrund agierende Bibliothekarin, war höchstpersönlich diejenige Künstlerin, die zuhause die ersten Kleinkunstvögel „bastelte“. Und weil alle drei Entwürfe für den „1. Grazer Kleinkunstwettbewerb“ so gelungen waren, wurden auch gleich drei Preise vergeben … Das Prinzip des Wettbewerbes, sowohl aus künstlerischer Sicht der Darbietungen wie auch bei der Betrachtung der Trophäen hat sich zwar weiterentwickelt, ist aber im Grunde genommen gleichgeblieben.

Je häufiger die Bretter, die die Welt bedeuten, auf- und abgebaut wurden, umso mehr interessierte junge (Wahl-)Grazerinnen und Grazer kamen zur Gründungscrew dazu. Sie alle hatten viel Spaß an der Kleinkunst und brachten alle ihre Ideen ein. Da war es nur selbstverständlich, im Laufe der Zeit dem Ganzen auch einen Namen zu geben: Der „Verein zur Förderung der Kleinkunst“ wurde 1985 gegründet, die Aktivitäten bekamen das Label „Hin & Wider“. So war über einige Jahre ein mehr oder weniger kontinuierliches Arbeiten möglich. Aber durch die vielen Änderungen bei den persönlichen Lebensumständen der Hauptakteure, es war ja doch nur ein Hobby, kam das ganze Vereinsgeschehen immer wieder ins Wanken.

Durch meine Teilnahme an zahlreichen Besprechungen von IG-Kultur und IG-Freie-Theaterarbeit war ich stets auf dem Laufenden, was in der österreichischen Freien Theaterszene und in der Kleinveranstalterszene los war. Als das sogenannte IG-Netz gegründet wurde, das auch heute noch einen wichtigen Beitrag zur sozialen Absicherung von Freien Theaterschaffenden in Österreich leistet, sah ich die Möglichkeit gekommen, erstmals eine Halbtagskraft im Sekretariat des Vereins anzustellen. Immerhin wurden die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung vom IG-Netz übernommen. Dies erscheint mir Jahrzehnte später als eine wesentliche Grundlage für ein dauerhaftes Weiterleben des Vereins und seiner Aktivitäten. Selbstverständlich war diese Konstellation nicht ganz friktionsfrei. Denn auf der einen Seite gab es nun eine Person, die sich hauptberuflich um die Organisation der Kleinkunstveranstaltungen kümmerte, und sich deshalb manches Mal auf den Standpunkt stellte, die Hauptverantwortung zu tragen. Andererseits war die Durchführung jeder einzelnen Veranstaltung ohne die Mitarbeit der ehrenamtlichen Vereinsmitglieder vollkommen undenkbar, wurden doch zumindest drei Personen benötigt, an der Kassa, zur Sitzplatzkoordination und für die Technik.

Etliche Situationen kamen im Laufe dieser spannenden und erlebnisreichen Jahre auf mich zu, in denen ich mehrfach überlegte, das Elektrotechnik-Studium abzubrechen, um hauptberuflich in der Kleinkunstszene zu agieren. Aber ich habe es nicht gemacht und konnte mir somit die Kleinkunst lebenslang als Hobby erhalten: immer mit Freude dabei und mit der Gewissheit, nicht wirtschaftlich davon abhängig zu sein.

Bereits 1984, also nach einem Jahr „Kleinkunstbühne im Theatercafé“, war ich der Überzeugung, einerseits ein brauchbarer Theatertechniker zu sein und andererseits bei großen Bühnen einiges dazulernen zu können. Und da es im Theatercafé im Sommer immer zwei Monate Schließzeit gab, bewarb ich mich bei den Bregenzer Festspielen als Beleuchtungstechniker. Das war eine sehr interessante Herausforderung für mich, die damit endete, dass ich einerseits viele Beleuchtungsideen für die Kleinkunstbühne mitnahm und realisierte und andererseits in den zwei folgenden Sommern 1985 und 1986 als Assistent des Technischen Leiters der Bregenzer Festspiele wieder den ganzen Sommer über dort tätig war.

Für die Fortsetzung der Arbeit in der Kleinkunstbühne im Theatercafé konnte ich jüngere Leute begeistern und reduzierte meine Aktivitäten 1990, um endlich mein Studium zu einem positiven Abschluss zu bringen, den ich 1992 erreichte.

Zum 10-jährigen Jubiläum der „Kleinkunstbühne im Theatercafé“ durfte ich gemeinsam mit Iris Fink und Hannes Töbich ein kleines Buch gestalten und veröffentlichen („… als wär’s ein Stück Kultur. 10 Jahre Kleinkunstbühne Hin & Wider im Grazer Theatercafé). Dieser Schritt war mein offizieller Abschied von der laufenden Mitarbeit im Verein, vor allem auch, da ich seit Anfang 1993 einen Job in der Privatwirtschaft angenommen hatte, der von mir laufende Einsätze auf den Baustellen in Deutschland, der Schweiz und Norditalien erforderte. Das Theatercafé war für mich zu dem geworden, was es auch heute noch ist: Ein Ort, an den ich immer wieder mit großer Freude zurückkehre, vor allem als Besucher von Kabarett-Abenden, meistens gemeinsam mit meinen Freunden von damals bis heute.

Vor 39 Jahren haben wir – eine Gruppe Studenten rund um Herbie Trummler – mit dieser Bühne begonnen, zahlreiche Künstler/innen durften wir in ihren Jahren, als sie noch großteils unbekannt waren, nicht nur auf der Bühne, sondern vor allem auch dahinter und danach kennenlernen. Heute macht es sehr viel Spaß, vor dem Fernsehgerät zu sitzen und die „alten Bekannten“ immer wieder zu sehen und zu erleben. Es ist, als ob es erst gestern war…

© Charly MohrEs ist, als ob es erst gestern war …“
Von den Anfängen der Kleinkunstbühne
Hin & Wider im Theatercafé

In: Oesterreichisches Kabarettarchiv online, 2022.

 


Foto: © Charly Mohr

Charly Mohr (* 1960 in Bregenz) ist aufgewachsen in Wolfurt. 1963 Fußmarsch über den Bodensee (der damals im Winter zugefroren war), seit 1979 begeisterter Grazer, erklärt 1985 das Theatercafé zum persönlichen Wohnzimmer, seit 2017 Musiker bei der Trachtenkapelle Graz-Wetzelsdorf, bis 2025 Elektrotechniker an der HTL BULME in Graz-Gösting, wo er nach Selbstaussage als Flugbegleiter tätig ist.

Veröffentlicht am: 4. Februar 2022