ANDREAS VITÁSEK

 

Ich heiße nicht Grünmandl

 

Als ich Anfang der 80er-Jahre Otto Grünmandl zum ersten Mal spielen gesehen habe, war es für mich so etwas wie ein kabarettistisches Satori-Erlebnis. Auf der Bühne der damals wichtigsten Kleinkunstbühne „Kulisse“ in der Wiener Vorstadt stand ein leicht übergewichtiger Tiroler mit dem Aussehen eines Biedermanns, der altersmäßig mein Vater sein konnte, und führte sich auf. Im wahrsten Sinne des Wortes. Er führte SICH auf. Diese Aufführung hieß „Ich heiße nicht Oblomow“ und war für mich, der gerade am Beginn meiner sogenannten Karriere stand, von nun an der Goldstandard für das, was ein Mensch allein auf einer Bühne vollbringen konnte.
Und der Otto, ich erlaube mir die amikale Verwendung des Vornamens – trotz der Namensgleichheit mit einem ostfriesischen Komiker – wurde für mich so etwas ein Vorbild im erweiterten Sinn. Nicht jemand, den man nachmachen möchte, imitieren, sondern einer, dessen Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit Mut macht, ebenso in eine eigene Richtung zu gehen, einen eigenen künstlerischen Weg einzuschlagen.

Einige Zeit später teilte ich mit Otto und anderen Kabarettisten die Bühne des Linzer „Posthofes“ anlässlich eines Benefizabends zur Finanzierung der Ausbildung eines Blindenhundes. Und Backstage kam ich mit Otto ins Gespräch, gestand ihm, wie beeindruckt ich von seinem „Oblomow“ gewesen wäre und ob er denn glaube, dass ich das Stück einmal spielen könnte. Und er antwortete: „Wer, wenn nicht du?“
Ich interpretierte seine Antwort als kollegiale Höflichkeit, doch schon einige Tage später lag das Textbuch in meinem Postkasten. Nun war es ein Auftrag.
Schon bald bemerkte ich beim Lesen des Stücks, dass ich noch viel zu jung war für diese Lebensbeichte eines alternden Komikers im Ruhestand. Es fehlte mir dafür einfach die Erfahrung, vor allem die bittere Erfahrung der Niederlagen.
So landete das Textbuch auf dem Stapel der Projekte, die ich mir für später vornehmen wollte, mit der Zeit stapelten sich andere Projekte darüber und begruben den „Oblomow“ unter sich. Er begann schön langsam aus meinem Bewusstsein zu verschwinden.
Otto hingegen traf ich immer wieder, mal nach seinen Gastspielen in Wien, dann wieder zufällig auf Tour.
Einmal saß ich im Café Central in Innsbruck und frühstückte, als Otto das Lokal betrat.
Ich: Hallo Otto, wie geht’s? Was machst’ denn?
Otto (laut): Ich hab’ mir grad die Batterien von meinem Herzschrittmacher austauschen lassen!
Ich (herumstotternd): Ah, echt ... ja ... äh ... wie ist das so mit einem Herzschrittmacher?
Otto: Siehst du die schöne Frau, die da grad rausgeht? Wenn ich der nachschau’, ändert sich nichts am Herzschlag. Der bleibt gleich. Mit so einem Herzschrittmacher bischt cool.

2015, Otto war schon 2000 gestorben und mein Leben um einige Erfahrungen, auch der bitteren, reicher, beschloss ich, den „Oblomow“ endlich in Angriff zu nehmen. Ich nahm mir das Textbuch her und erkannte sehr bald, dass dieser Text autobiographischer war, als ich ursprünglich gedacht hatte. Autobiographisch sogar in einem prophetischen Sinn. Ebenso wie die Figur des Komikers im Stück zog sich auch Otto am Ende immer mehr in sein hermetisches Universum zurück. Nur mehr eingefleischte Fans konnten ihm in den letzten Stücken dorthin folgen und ich gebe zu, dass auch ich oft Schwierigkeiten hatte „mitzukommen“.
Zum Schluss spielte und lebte er so wie seine Kunstfigur in seinem Zimmertheater in Hall. Daraus entstand bei mir die Idee, das Stück um andere Texte vom Otto zu erweitern und daraus so etwas wie eine Hommage zu schaffen.
Bei der Suche nach den Texten lernte ich über die Vermittlung von Ulli Leitner Ottos Sohn Florian kennen, der den Nachlass seines Vaters im Brenner Archiv mitbetreut. Ihm habe ich auch die Entdeckung der Lyrik Grünmandls zu verdanken. Zwar streute Otto immer wieder lyrische Passagen in seine Solos ein, aber als reiner Lyriker war er mir und sicher nicht nur mir bis dato unbekannt. Vor allem der Band „Hinter den Jahren“ mit einer beigelegten CD, einer seiner letzten Lesungen, ist ein echtes Juwel.
Ich verwendete also das Stück „Ich heiße nicht Oblomow“ als Grundgerüst und erweiterte es um Gedichte, Texte aus anderen Stücken und Teilen aus den „Alpenländischen Interviews“. Am Ende kam sogar noch der Dichter höchstpersönlich zu Wort. So entstand das Stück „Grünmandl oder das Verschwinden des Komikers“.
Die Premiere fand 2016 im Theater „Stromboli“ in Hall in Tirol statt, sozusagen in der Höhle des Löwen, und nach der Vorstellung kam eine ältere Dame auf mich zu und flüsterte: „Wie Sie da auf der Bühne gestanden sind und das Licht ist so von der Seite gekommen, hab’ ich mir gedacht: Jö, der Otto ist wieder da.“ Und so wie sie es gesagt hat ... ich glaub, da war einmal was.
Die darauffolgende Aufführungsserie im „Rabenhof“ Theater in Wien wurde zum großen Erfolg, sowohl bei den Kritikern als auch beim Publikum, vor allem bei denen, die Otto noch gekannt haben. Auf der Tour musste ich leider manchmal feststellen, dass viele Besucher nicht wussten, wer Otto Grünmandl war und manche nahmen sogar an, er wäre eine von mir geschaffene Kunstfigur.
Einmal nach einer Vorstellung im „Lustspielhaus“ in München, meinte ein Zuseher: „Ich habe so ziemlich alles vom Grünmandl im ‚TamS‘ gesehen. Und wie ich gelesen habe, dass das wer anderer spielen möchte, hab’ ich mir gedacht, das kann nicht funktionieren. Aber so wie Sie es gemacht haben, so gehts.“
Möglicherweise hätte ich ohne die geglückte Arbeit an den Texten Grünmandls nicht den Mut aufgebracht, mich an Merz/Qualtingers „Herr Karl“ zu wagen. Aber das ist eine andere Geschichte.

© Andreas Vitásek, Ich heiße nicht Grünmandl.
In: Oesterreichisches Kabarettarchiv online, 2022.

 


Foto: © Udo Leitner

Andreas Vitásek (* 1. Mai 1956 in Wien-Favoriten), Kabarettist, Schauspieler und Regisseur.
1974 Beginn des Studiums der Theaterwissenschaften und Germanistik in Wien; 1978 bis 1980 Besuch der Theaterschule von Jacques Lecoq in Paris.
Seit 1981 arbeitet Vitásek als Kabarettist, Schauspieler und Regisseur.
Für seine Soloprogramme wurde Vitásek unter anderem mit dem „Salzburger Stier“, zwei Mal mit dem „Österreichischen Kabarettpreis“ (2007 „My Generation“, 2014 „Sekundenschlaf“), 2011 mit dem Schweizer Kabarettpreis „Cornichon“ und 2018 mit dem „Ehrenpreis zum Deutschen Kleinkunstpreis“ ausgezeichnet.
Seine künstlerische Laufbahn umfasst seit jeher auch die Arbeit an Theaterbühnen, als Schauspieler und Regisseur. Seine Filmkarriere begann mit Niki Lists Filmen „Malaria“ und vor allem „Müllers Büro“. Seither ist Vitásek als Schauspieler in zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen zu sehen.
2022 hat er seine Autobiografie „Ich bin der Andere“ im Verlag Brandstätter herausgebracht.
Andreas Vitásek lebt in Wien und im Südburgenland.

Veröffentlicht am: 7. Juli 2022